Atlantico-Pacifico

Wir entdecken Mittelamerika von Fr. Frhr. v. Buddenbrock (Atlantico Pacifico)

Die letzten Tage in Barranquilla waren mit fieberhaften Vorbereitungen für den immer wieder verzögerten Flug nach den zentralamerikanischen Gebieten dahingegangen. Lange, grundlegende Versuche mit den großen Metall‐Flugbooten unter den tropischen Bedingungen, verschiedene vorbereitende Flüge nach Venezuela und den Rio Magdalena hinauf, not‐ wendige Umbauten und Änderungen hatten jeden Tag bis zum Rande ausgefüllt. Nach einer letzten gründlichen Überholung kam die Überprüfung der umfangreichen Ausrüstung, denn wir waren ja unterwegs völlig auf uns selbst angewiesen wie bei einer Urwaldexpedition und konnten auf keinerlei technische Unterstützung rechnen. Diese Vorbereitungen wurden beschlossen durch die feierliche Taufe der beiden Flugboote “Atlantico” und “Pacifico”, die bisher noch die alten deutschen Reichsfarben gezeigt hatten, von nun an aber in halbamtlicher Mission Kolumbiens unter dessen Farben als unserem neuen Heimatgebiet reisen sollten.(…) Der 10 August 1925 war dann schließlich der ersehnte Tag, an dem diese lange Zeit der Vorbereitungen ihr Ende fand und die Expedition beginnen sollte. (…) Vor dem Hangar lagen unsere beiden Vögel, vollgepackt für die Reise, leise an ihren Leinen schaukelnd. Bald sollten sie wieder Seewasser zu schmecken bekommen, und ihre Politur würde in Wind und Wetter schnell zum Teufel gehen. Erst gab es noch ein wenig Hin und Her mit dem Verteilen der Gewichte auf die beiden Maschinen, da auch noch das Archiv des Condor‐ Syndikats mit Einschluss von zwei Schreibmaschinen unentbehrlich zu sein schien ‐ ein böses Omen für spätere Monate! Als dann schließlich auch noch die letzten Motorersatzteile, von England kommend, vom Zoll freigegeben worden waren war es drei Uhr nachmittags geworden.

Inzwischen hatte sich alles, was zur Scadta gehörte, am Bootshafen versammelt. Es hagelte gute Wünsche, neidische Blicke und intelligente Ratschläge. Dann kletterten der lange Münter, mein zweiter Pilot, und ich in meinen “Pacifico”, in dem die beiden Bordwarte schon klarstanden, und schaukelten uns langsam aus dem Hafen. Eine leichte See Brise warf uns die kurzen lehmbraunen Magdalena wellen entgegen, die uns für lange Zeit zum letzten Male gewiegt haben sollten. Dann Voll‐ gas, und die letzten Taschentücher an Land verschwanden in einem Wirbel von Wasserstaub. Noch eine Abschiedsrunde über der Stadt, und dann zog sich das Landschaftsbild unter uns zusammen. Die blaue Ferne tat sich auf, und die Enge des Flusslaufs löste sich in das weite Delta, hinter dem der blaue Strich des Ozeans heraufkam. Wie ein Angreifer umlagert er das Tor, durch das der Fluss seinen Ausgang sucht, und seine Raub‐ tierzähne schlagen sich in weißem Kranz in den braunen Riesenkörper. Weiter draußen zeigt eine scharf abgesetzte Linie, wo der Fluss sich in dem unendlichen Dunkel verblutet.

Das war der Absprung unseres Unternehmens in eine ungewisse Zukunft, dessen einzelne Etappen heute durch die Entwicklung des Verkehrs ihre Bedeutung verloren haben. Ihre längere Beschreibung kann daher kein Interesse beanspruchen, und nur einige kleine Schlaglichter sollen die Entwicklungsprobleme beleuchten, mit denen wir damals zu kämpfen hatten.

In einer Stunde‐ ist Cartagena, unser erstes Ziel, erreicht. Mit seinen alten Befestigungswerken, dicken Stadtmauern und Hafenanlagen aus der Spanier zeit ist es von jeher nicht nur ein bedeutender Punkt gewesen, sondern heute vielleicht auch die romantischste der Städte Kolumbiens. Da Cartagena zu dieser Zeit bereits regelmäßig von der Scadta angeflogen wurde, erregte unsere Ankunft auch kein solches Aufsehen wie auf den späteren Etappenpunkten, die von dieser Verkehrsart noch völlig u unberührt waren. (…)

Nachdem wir des Wetters wegen bereits hier einen Tag verloren hatten, verließen wir nach Wetterbesserung Cartagena schnellstens mit Kurs auf Colon am Panama‐Kanal ‐ unser erstes Ziel außerhalb Kolumbiens und ein besonders interessanter Punkt. Hier nun verließen wir auch zum ersten Male die Gegend der so einfachen Fluss‐Navigation, wo man den Wasserläufen folgte, an denen die Stützpunkte lagen. Im Vergleich hierzu begaben wir uns nunmehr “aufs hohe Meer” und mussten, wenn wir nicht die ganze Küstenlinie ausfliegen wollten, brav nach dem Kurzpass fliegen, der bisher ein ziemlich unbeachtetes Dasein geführt hatte. Zukünftig mussten wir uns etwas mehr mit Deviation und Missweisung beschäftigen. Wir fühlten uns sichtlich gehoben.

Wir ließen nun das Wetter hinter uns, und je mehr wir vorankamen, desto mehr klärte es auf. Im Süden erhob sich über dem Horizont die schöne markante Bergreihe der Kordilleren von Espiritu Santo und von San Blas, und die See glitzerte unter einer leichten Nordost‐Brise, so dass wir hoffen konnten, in gut 4 Stunden in Colon zu sein. Hinter uns verschwand allmählich die Küste Kolumbiens in Dunst und Regenwolken, während wir einer strahlenden Sonne entgegenflogen.

Das erste Verbandsfliegen der großen Boote für längere Zeit nahm uns alle etwas in Anspruch. Da unsere Funkapparatur uns so schmählich im Stich gelassen hatte, versuchten wir verschiedene Arten anderer Verständigung von Bord zu Bord und erlebten einige komische Missverständnisse. Am Fenster gezeigte Flaggensignale waren zweifellos keine aussichtsreiche Methode.

Wenn wir bis dahin unseren Kompass Kurs noch mit einigem Vorbehalt betrachtet hatten, so belebte sich die See, je weiter wir kamen, immer mehr mit Dampfern aller Art, die zweifellos auch Colon ansteuerten.

An ihnen fanden wir die Richtigkeit unserer Navigation bestätigt, denn bald tauchten geschlossene Wolkenformationen, Land andeutend, am Horizont auf.

Als wir dann unter die an der Küste liegenden Wolken gingen, sahen wir Colon, den ersten Hafen im Ausland, vor uns liegen. Er war zugleich auch einer der wichtigsten und politisch schwierigsten. Nach einer Ehrenrunde über Francefield, dem Militärflugplatz, machten wir im Verbände unser Ankermanöver und setzten am Flaggstock die kolumbianische und im Vor‐ topp, d. h. am Funkmast, die amerikanische Flagge. Richtige Verkehrsflugzeuge waren zu dieser Zeit für die Amerikaner noch etwas Neues, und unsere beiden Vögel erregten dementsprechend nicht nur wegen dieser Eigenschaft, sondern auch ihrer besonderen Bootskonstruktion zufolge allerseits lebhaftes Interesse.

Mit typischer amerikanischer Hilfsbereitschaft wurden wir von den Armeefliegern aufgenommen, die uns in ihrem Wohnhaus unterbrachten, wo wir kühl und luftig schliefen, sauberes heißes und kaltes Wasser im Überfluss hatten (0 Barranquilla!) und im Schutze moskitosicherer Veranden saßen, wiewohl es hier dank vorbildlicher sanitärer Maßnahmen so gut wie keine Moskitos mehr gab. Der Stolz auf die fortgeschrittene Technik, die wir hier vorweisen konnten, wurde etwas gedämpft durch die Erinnerung an die vergleichsweise urwäIdlerischen Lebensverhältnisse, die wir gerade verlassen hatten.

Nach einem Aufenthalt von einem Tage, reich ausgefüllt mit Rundflügen und Besichtigungen, aber ohne politische Verhandlungen die sich ja in Washington abspielen mussten, waren wir wieder klar zum Start, diesmal aber nach Häfen, die uns manche Überraschungen bringen sollten.

Von der See her wehte ein frischer Wind, aber das Wetter sah nicht sehr beständig aus. Wir waren auch noch nicht lange unterwegs, zur Linken die abwechslungsreiche gebirgige Wald‐ und Fluss reiche Küste, als uns auch schon das Geschick ereilte. Mein Tagebuch vermerkt dazu: “Immer dichter und niedriger werden die Regenwolken, so dass wir gezwungen sind, dicht über Wasser zu fliegen. Zugleich mit dem Regensturmsetzt eine bis dahin nicht erlebte Blödigkeit ein, die uns zwingt, aus den Motoren das letzte herauszuholen, um einigermaßen Herr über die Maschine zu bleiben. Unter uns das stumpfgraue Meer, zugleich aufgewühlt durch den Wind und wieder gebändigt durch den Regen. Die Küste an Backbord, obwohl nur wenige hundert Meter entfernt, verschwindet mituntervollkommenimgrauenSchleier.AndenvorspringendenKapsstreifen wir sie so nahe, dass die Flügelspitzen fast die Bäume berühren. In dem ungewissen Dämmerlicht bekommt alles ein unwirkliches Aussehen, und in der phantastischen Landschaft, die in wechselnder Deutlichkeit an mir vorüberfliegt, unter‐ scheide ich die hellen Streifen vom Wetter belebter Bäche, zerzauste Urwaldbäume, stille Buchten und rollende Brandung. Meine Brille liegt mehr als lästiges denn als nützliches Möbel im Wassergang. Den Kopf hinter die Windscheibe gedrückt, äuge im mit halb zugekniffenen Lidern seitlich heraus, um nicht von den peinigenden Regengeschossen getroffen zu werden.

Einmal rechts heraus, um den “Atlantico” nicht zu verlieren, dann wieder links, um nicht in unliebsame Berührung mit harten Gegenständen zu kommen. Der “Pacifico” glänzt über den ganzen Körper und scheint sich das Süßwasserbad gern gefallen zu lassen. An jeder Kante sprüht die Flüssigkeit, und allmählich beginnt sie auch mir in den Kragen zu laufen. Dicht über Wasser fliegend, weil hier die Böen am wenigsten wirksam sind, geht es so stundenlang weiter. Der Ärger über das schlechte Wetter hat längst einer stillen Neugier Platz gemacht, wie lange es in dieser Gegend wohl so regnen kann. Aber anscheinend hält das Wetter sich hier an die politischen Grenzen, denn sobald wir die Grenze von Costa Rica überschreiten”, klart es mit erfreulicher Entschiedenheit auf, und schnell wiegen wir uns wieder mit tropfendem Gefieder in den höheren Regionen, wo es kühl und ruhig ist. Unter uns breitet sich die große Lagune von Chiriqui. Im Nordwesten sehen wir die malerischen Bergrücken von Costa Rica sich zu beträchtlicher Höhe erheben. Ein feiner Dunst liegt nach dem Regen darüber und lässt im blendenden Mittagslicht alles wie eine große Reliefkarte erscheinen. Bis Puerto Limon fliegen wir in einem Meer von Licht, das die Augen schmerzen lässt und die Haut nach dem Regen zum Glühen bringt. Endlich taucht aus dem Dunst der kleine Vorsprung ins Meer, der Puerto Limon heißt, bewacht von einer kleinen vorgelagerten Insel. Auf der Suche nach einer geeigneten Landestelle tauchen wir unter in die uns entgegenatmende Wärme der unteren Luftschichten, deren heiße Feuchtigkeit beklemmend wirkt. Dann gleiten wir hinein in den kleinen, wenig geschützten Hafen, den auch nicht ein Windhauch bewegt. Aber kaum berühren wir das feuchte Element, da verschwinden wir fast in der langen Dünung, die der Ozean ungehindert hereinträgt, die unsere Boote bei der hohen Aufsetzgeschwindigkeit untertauchen lassen.”

(…) Da die Hauptstadt San Jose nur mit der Bahn zu erreichen war und uns dieser Ausflug drei Tage gekostet hätte, zogen wir es mit Rücksicht auf die herannahende Hurrikan‐Saison vor, unsere verkehrsmäßigen Anliegen unserer diplomatischen Vertretung zu übergeben ‐ sehr zu unserem Leidwesen, da San Jose von allen Seiten sehr gerühmt wurde als der Platz mit den schönsten Frauen dieses Kontinents. Vielleimt war es aber gut, dass unser Argonauten Zug den Verlockungen dieses Sirenengestades nicht erst ausgesetzt wurde. So beeilten wir uns, aus dem sowieso nicht sehr einladenden Hafen herauszukommen und machten unseren ersten Start in der freien Ozeandünung. Nachdem wir ein wenig gespannt gewesen waren, wie sich dieses Experiment besonders bei Windstille an lassenwürde, waren wir erleichtert, als die Boote, von der Dünung etwas geschoben, sich relativ schnell, wenn auch heftig springend, vom Wasser lösten. Vor uns lag nun die Überquerung von Mittelamerika vom Atlantik zum Pazifik, wobei wir an der Mündung des Rio San Juan landeinwärts biegen und dem Fluss bis zum Nicaragua‐See folgen wollten. Über dem Delta des Flusses lag in geringer Höhe eine Wolkenschicht, die landeinwärts stärker zu werden schien. Doch schimmerte der Flusslauf, unser Führer, auf dem Wege nach dem Nicaragua‐See, in mannigfachen Windungen durch die Wolkenlücken herauf. So drehten wir von der Küste ab und hielten Kurs hinein in eine romantische Welt von weißen Wolkenbetten, aus denen näher und ferner einzelne Bergspitzen und Höhenzüge ihre harten dunklen Umrisse aufreckten. Eine Zeit lang war der schmale Fluss noch auszumachen, dann deckte ihn die weiße Schicht ganz zu, und alle Bemühungen, ihn weiter zu verfolgen, waren vergeblich.
Sollten wir nun auf gut Glück nach Kompass über Land steuern mit dem Risiko, auch den See eingenebelt zu finden? Während ich noch überlegte, sah ich bereits den ,,Atlantico” auf Gegenkurs gehen. Zurückfliegend fanden wir nach kurzer Zeit unseren Fluss wieder und suchten uns, da ein Weiterflug unter den Wolken nicht möglich war, eine einigermaßen gerade Strecke des Flusslaufs aus, die zum Landen geeignet schien. Erst nach dem Aufsetzen wurde uns bewusst, wie schmal der Fluss war, den der Urwald zu beiden Seiten sdtluchtartig einschloss. An einer flachen Stelle legten wir an, in der Erwartung, dass die Mittagssonne den Schleier über dem Flusstal auflösen würde. Nach mehrstündiger Pause kam dann auch wieder Leben in das Urwaldidyll. Flussabwärts gleitend ließen wir unsere Motoren wieder brummen und mussten wieder feststellen, dass ein schmaler und gewundener Fluss wie dieser, der durch den dichten Baumbestand noch unübersichtlicher wurde, kein ideales Startgelände war, ganz abgesehen von den treibenden Baumstämmen, vor denen auf der Hut zu sein wir allerdings bereits am Rio Magdalena gelernt hatten.

Aber schließlich sahen wir auch diesen Fluss mit einiger Erleichterung aus größerer Höhe unter uns liegen und konnten ihn bis zum Horizont verfolgen. Dann erschien hinter den Hügeln voraus ein heller Strich ‐ der Nicaragua‐See. Wo der Fluss ihn erreicht, liegt der kleine Flecken Fuerte San Carlos, der früher eine Rolle als befestigter Stützpunkt der Spanier gegen das Vordringen der Seeräuber vom Meere her gespielt hat. Wir waren beinahe erstaunt, dass unsere Benzinkanister, die wir vor Monaten hierher für eine Zwischenlandung geschickt hatten, tatsächlich vorhanden und greifbar waren, so dass wir nach kurzer Pause wieder starten konnten. (…)

Hier in Managua konnten wir zum ersten Male auf unserer Expedition unsere Pläne dem Präsidenten des Landes unmittelbar vortragen, der beide Besatzungen geschlossen empfing. Wir konnten mit diesem Anfang zufrieden sein. Ich lasse nun wieder mein Tagebuch sprechen:
,,Als wir am zweiten Tage wieder aufbrechen, liegt es dunstig in den Berghängen, doch geht ein leichter Morgenwind, der mit der Wolkendecke aufräumt. Unser Ziel ist Amapala, der pazifische Hafen von Honduras, der nur zwei Flugstunden entfernt liegt. Um zum Pazifik zu gelangen, müssen wir noch einmal das Land kreuzen, das zwischen dem Managua‐See und dem Ozean liegt. (…) Lange haben wir uns darauf gefreut ‐ nun taucht er grau und sensationslos im Morgendunst auf, der Stille Ozean. Auch er ist noch schläfrig, schmal und leicht sind die Brandungsstreifen an den Riffs der Küste. Ein einsames Fischerboot segelt zum Fang. Voraus wächst die gebirgige Halbinsel Cosiguina aus dem Horizont heraus, der westlichste Zipfel von Nicaragua, der in den Golf von Fonseca hineinragt. An ihm vorbei steuern wir die Randberge an, hinter denen sich drei der mittelamerikanischen Staaten treffen. Amapala liegt nicht auf dem Festland, sondern auf der Insel Tigre inmitten der weiten Insel gruppe, die den Golfbelebt.

Mit dem Steigen der Sonne spielen die belebten Luftschichten mit uns Fangball, und der feuchte Wind, der von dem sumpfigen Flachland im Osten kommt, quirlt um die bergigen Inseln, zwischen denen wir auf Amapala zu hinabgleiten. Unser Ziel liegt auf der südlichen von zwei Inseln, die sich hier durch eine schmale Wasserstraße getrennt gegenüberliegen. Kaum ist es eine Stadt zu nennen. Inmitten üppiger Vegetation verschwinden seine Häuser und Hütten, und nur die zahlreichen Boote und Lichter deuten auf seine Wichtigkeit als Handelshafen. Viel Platz läßt auch der Bergkegel der Ansiedlung nicht. Steil steigt er aus dem Wasser, und nur ein schmaler Streifen rund um die Insel, wie die Krempe eines spitzen Astrologenhuts, gestattet die Benutzung der ebenen Dimension. Die Eigenart der Naturformen, die Abgeschiedenheit der Inselwelt, in der aus Blättern und Palmen die Dächer des stillen Platzes hervorlugen, lässt uns zum ersten Mal seit unserer Abreise das Gefühl empfinden, an der Grenze zu stehen, wo die Einwirkung der Zivilisation in der noch ungebrochenen Natur verebbt.

Mit Rücksicht auf den starken Strom in der Fahrstraße müssen wir wieder zwei Anker ausbringen, ein Manöver, das wir inzwischen mit größter Abneigung zu betrachten gelernt haben. Aber da es auch hier keine Festmachebojen gibt, bleibt uns nichts anderes übrig. Da die Hauptstadt Tegocigalpa ebenfalls nur sehr umständlich zu erreichen ist, übergeben wir auch hier unsere Wünsche und Pläne dem deutschen Konsul, zumal wir hier ernsthafte Widerstände gegen unsere Absichten kaum zu gewärtigen haben. Früh nimmt mich meine Hängematte auf, eine jener schönen einheimischen Arbeiten, gegen die Abrahams Schoß kaum aufkommen kann.

(…). Dann geht die Sonne auf, wir schütteln unser Gefieder und fliegen einemschönen Tag entgegen mit dem Ziel San Salvador.
Die Strecke ist nicht weit, nur sind wir ein wenig neugierig, ob wir Schwierigkeiten haben werden, zum llopango‐See zu kommen, da die Karten über die Höhenverhältnisse der Randberge dieses Kratersees nur mangelhaften Aufschluss geben und möglicherweise eine dicke Wolkendecke uns daran hindern kann. Obgleich der See 1100 m hoch liegt, ist er als Liegeplatz, s<hon wegen der Nähe der Hauptstadt, der offenen Reede von La Libertad vorzuziehen. Langsam steigend sehen wir nach einer Stunde in der gebirgigen Landschaft zu unserer Rechten etwas Blaues aufleuchten ‐ das Muss der See sein. Zuvor heißt es aber, noch dem Hafen von La Libertad den verabredeten Besuch abstatten. Nur eine lange eiserne Pier deutet darauf hin, dass dies hier ein Hafen ist. Die volle hohe Brandung des Ozeans läuft hier Sturm gegen die Küste, die langgestreckt und offen. daliegt. Für die Einrichtung einer regelmäßigen Verkehrslinie wird dieser Hafen kaum zu benutzen sein. Vorsichtig, mit der Dünung anfliegend, landen wir ‐ bei Windstille kann man sich die Richtung aussuchen ‐ und ankern weitdraußen, außerhalb der kräftigen Grundsee. Der ,,Paclfico” scheint sich ganzun bändig über das Zusammentreffen mit seinem Taufpaten zu freuen, denn er tanzt nicht schlecht an seiner Ankerleine und rollt von einer Seite auf die andere.

Hier wird der Spiegel nie ruhig, der weite See raum des stillen Ozeans bringt immer Bewegung, auch wenn wie eben jetzt, sich kein Lüftchen rührt. Unsere Blicke wandern hinüber zur flimmernden Küste, wo einige Hütten die Stadt vorstellen, die nicht allzu einladend aussieht. Doch ein Besuch ist nötig, und ein kräftiges Ruderboot bringt uns schnell zur Anlegebrücke, wo die Art des Ausbootens uns um einige neue Erfahrungen bereichert. Es war schon nicht ganz einfach, von unserem Flugboot auf das Ruderboot überzusteigen, da beide nach ihren eigenen Gesetzen auf der Dünung tanzten. Wie wir aber jetzt in die Nähe der Brücke kommen, die einmal turmhoch über uns droht, um dann, je mehr uns die Dünung hebt, plötzlich zu uns herabzusteigen, erfasst uns doch die Neugier auf das Kommende. Zwei Möglichkeiten gibt es: Die Kletterfreudigen warten einen ruhigen Augenblick ab, um die senkrechte Lotsentreppe zu ergreifen, die übrigen werden von einem Kran in einem luftigen Stuhl auf die feste Erde gehoben.

Schließlich sind wir alle ohne Unfall gelandet und werden gleich von einem vertrauten Brummen überrascht ‐ die salvadorianischen Militärflieger lassen es sich nicht nehmen, die beiden großen schwimmenden Brüder zu begrüßen! Inzwischen haben wir auch schon telefonisch gehört, dass wir oben am See erwartet werden, und so booten wir uns ohne großes Bedauern wieder ein denn oben auf dem Bergsee wird es schöner und kühler sein. In großen Kreisen klettern wir auf die für die Überquerung der Randberge nötige Höhe. Die klare Himmelsbläue des Vormittags hat sich inzwischen über Land bezogen, und die üblichen Nachmittagsschauer drohen aus den verschiedenen Gebirgswinkeln. Doch wir finden immer noch wieder eine freie Passage durch die weißen und grauen Ballen, bis endlich der See zu unseren Füßen liegt. Während wir langsam an Höhe verlieren, habe ich den Eindruck, in eine friedliche Landschaft der niederen Alpen hinabzusteigen. Blank und bewegungslos liegt das Wasser, das grüne Hänge voll subtropischer Vegetation einsäumen. Fast scheut man sich, die Stille zu stören. Wir gleiten hinein in das Gebirgsparadies, der See wird immer weiter, die Hänge um uns immer höher, bis wir eine schneeweiße Furche in den klaren Spiegel ritzen und ausrollend an dem weichen grünen Ufer zur Ruhe kommen.(…).”

Soweit das Tagebuch. Mit dem Erreichen von San Salvador hatten wir bereits einige Antworten auf verschiedene offene Fragen bekommen, zu deren Lösung unsere Expedition ausgezogen war.(…)
EI Salvador, der kleinste der mittelamerikanischen Staaten, vorzüglich verwaltet, zeigte speziell für uns in den wenigen Tagen unseres Aufenthaltes etwas von dem besonderen Geist dieser kleinen Republik. Vom ersten Tage an wurden wir auf Schritt und Tritt daran erinnert, dass EI Salvador das einzige Land Mittelamerikas war, das uns im ersten Weltkrieg nicht den Krieg erklärte, und konnten nun an Ort und Stelle erleben, wie natürlich und selbstverständlich den Menschen hier ihre Haltung dank ihrer langen Beziehungen zu Deutschland war, wie sehr sie auch aufgeschlossen waren für die Eigenschaften, die wir lange als unsere besten betrachten konnten.

Es machte mich sehr nachdenklich, dass man sich hier in diesem von uns so weit entfernten Lande sehr intensiv mit Fragen beschäftigte, die rein deutsche Probleme waren und stark mit unserem Verhältnis zu unserer eigenen Geschichte zu tun hatten. Wenn deutsche Vorbilder und Ausbilder hier so nachhaltige Wirkung hinterlassen hatten, so war es begreiflich, dass man den verschlungenen Wegen der deutschen Innenpolitik nach dem Kriege und der Verleugnung dessen, was uns einmal stark gemacht hatte, wenig Verständnis entgegenbrachte.
Unser nächstes Ziel war San Jose de Guatemala, ein Hafen, von dem wir nicht hoffen konnten, dass er in irgendeiner Weise besser war als La Libertad, der aber doch mitgenommen werden musste, wenn auch nur aus dem Grunde, dies in der Praxis bestätigt zu finden. Und hier sollte es sich im wesentlichen entscheiden, ob es uns gelingen würde, unseren Plan auf dem Wege quer über Guatemala zu verfolgen, oder ob wir den Umweg zurück über Nicaragua nehmen müssten. Mit der Annäherung an San Jose wuchsen aber auch die Gebirgsketten von Guatemala, die vorgelagerten Vulkankegel des Fuego, Agua und Pacaya immer mehr in die Höhe und bildeten mit den hier regelmäßig am frühen Nachmittag aufgetürmten Wolkenbergen einen geheimnisvollen und bedrohlichen Hintergrund.

San Jose zeigte das gleiche Bild wie La Libertad. Eine offene Reede mit starker Dünung, in der bei der großen Wassertiefe der Anker nicht mehr fasst und deshalb der “Atlantico” erst einmal auf Drift ging, so dass wir mit Hilfe der Hafenverwaltung mit vieler Mühe schwerere Schiffsanker ausfindig machen und ausbringen und zum ersten Male auch unser Schlauchboot zum Ausbooten benutzen mussten.

(…)
Der Amatitlan‐See zeigte sich wie der Ilopango als ein seefliegerisches und landschaftliches Juwel. Mit der Landung in diesem sicheren Port war der erste Teil unserer Unternehmung zu einem vorläufigen Abschluss gekommen. Sechs Ländern hatten wir unseren Besuch abgestattet und Verhandlungen über die zukünftige Luftlinie einleitet.
Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, die bisherigen Ergebnisse etwas zu überarbeiten, während die Flugboote selbst dringend eine etwas gründlichere Kontrolle verlangten nachdem sie wochenlang ohne Hallenschutz in Sonne, Regen und Salzwasser gelegen hatten und die Wartung begreiflicherweise sich auf das Nötigste beschränken musste. Die Stoffbespannung der Flächen begann allmählich ihre Elastizität einzubüßen und morgens, wenn der Tau darauf lag, zeigte sie ihre vielen Kununer falten. Alles in allem war für Mensch und Maschine eine Pause nicht unangenehm ‐ das wurde dann auch beschlossen, ehe wir von unserem neuen Flughafen zur Hauptstadt hinauffuhren.
Alle Umstände waren für diesen Entschluss günstig. Ein ruhiger, gesicherter Liegeplatz für unsere Maschinen im Süßwasser, ein wunderbar erfrischendes Klima, in dem das Arbeiten eine Lust war, und schließlich der Aufenthalt inmitten eines großen Kreises von Deutschen, die vom ersten Tageslicht völlig in den Dienst unserer Aufgabe stellten, und die auch schließlich für deren Gelingen zum Teil von wesentlicher Bedeutung waren. Das Gefühl der Befriedigung über diese günstige Lösung erfuhr noch eine weitere Steigerung durch die Aussicht, in der Hauptstadt ein modernes Hotel mit kalt und warm fließendem Wasser und einer privaten Badewanne unserer harrend zu wissen, einem Genuss, der in Barranquilla nur von Neulingen erwähnt wurde. (…)

Zur Sicherung des Überlandfluges wurde noch eine Vorerkundigung mit der Eisenbahn durchgeführt, die teilweise im Tal des Rio Motagua entlang bis nach Puerto Barrios an die atlantische Küste des Landes führt. Von der fruchtbaren Hochebene steigt die Bahn in engen Schluchten und ständigen Windungen bis zum Flusstal herunter, wo sich bereits das Küstenklima bemerkbar macht. Fast regelmäßig bläst eine kräftige Brise von See das Tal entlang und macht die Wärme einigermaßen erträglich. Da sie gleichzeitig eine tiefe Bewölkung verhindert, war uns dies bei unserer Abhängigkeit vom Wetter eine gewisse Beruhigung, denn die Möglichkeit, in einer unbekannten Bergwelt von den Wolken eingeschlossen zu werden, schien uns nicht verlockend. ∙Zur Vorsicht richteten wir einige Wetter Posten auf der Strecke ein, und nachdem wir einige Tage hatten warten müssen, gingen wir bei aufklarendem Wetter in großen Kreisen auf die erforderliche Höhe. Kurze Zeit war noch die Bahn unser Wegweiser ‐ dann verlor sich auch diese in einer eindrucksvollen Reliefkarte. Bei dieser Querung des zentralamerikanischen Landgürtels belebte sich die Landkarte meines Schulwissens in besonders plastischer Weise. Unter der Kulisse des wolkendurchzogenen Himmels erschienen beinahe wie auf der Karte die Berge bräunlich mit scharf abgesetzten Kanten, das Flusstal mit grünlichem Schimmer und schließlich in schönem Farbkontrast die gleichförmige Fläche des Atlantik in blauem Pastellton. Einmal über dem sonnigen Tal sahen wir bald, dass wir gewonnenes Spiel hatten und dass das große Fragezeichen, das neben dieser Überquerung stand, verschwunden war. Auch unsere Gedanken hatten sich von dem, was rückwärts lag, gelöst, für neue Eindrücke bereit, als das andere Meer sich in der fernen Küstenlinie andeutete. Wir wussten, dass Puerto Barries rechts hinter dem Vorgebirge verborgen, gegenüber Guatemala in mancher Hinsicht den Gegenpol bilden würde, aber wie es auch sein mochte, heute war es unser wohl errungenes Ziel. Die Freude über das Geschaffte ließ uns denn auch vergessen, dass es heiß und schmutzig war und die alten Hotelleiden unter dem stickigen Moskitonetz, mit Duschen auf dem Hof und sonstigen Freundlichkeiten wieder begannen.

(…) Von Puerto Barries ab ließ die Spannung, unter der die Expedition bisher gestanden hatte, ein wenig nach. Die Hauptfrage, nämlich der fernere Flugweg, war entschieden, und größere Schwierigkeiten technischer Art waren bis Havanna nicht mehr zu erwarten. Auch die landschaftlichen Reize blieben hinter dem bisher Gesehenen zurück. Die Küste wurde wieder flach, die Ansiedlungen unansehnlich und die nächsten Übernachtungshäfen, Belize in Br. Honduras und Bayo Obispo boten nichts, was der Erinnerung wert wäre, es sei denn die bösen Erfahrungen mit einem wenig geschützten Hafen, in dem die Boote wie toll an ihren Festmacheleinen tanzten und der “Atlantico” sich schließlich seinen Bug sehr unschön verbeulte.

Erst Cozumel wieder, unsere letzte Station vor Havanna, stellte unsere kleine Gemeinschaft vor neue Probleme und brachte eine Belebung, die nicht nach jeder Richtung als angenehm empfunden wurde. Bei der geringen Auswahl an Zwischenlandeplätzen auf unserer Route nach Havanna war die Wahl auf Cozumel mehr aus Gründen der Streckenunterteilung gefallen ‐ eine einsame, der mexikanischen Küste vorgelagerte Insel, die nur bekannt ist durch ihre gottgewollte Aufgabe, die Vereinigten Staaten mit Chicle, dem Grundstoff für den Kaugummi, zu versorgen. Eine kleine Ansiedlung lebt von diesem Geschäft, damals nur ein‐ bis zweimal im Monat mit dem Festland durch Segelboote in Verbindung stehend, die dann außer Lebensmitteln einen besonders heißbegehrten Artikel brachten ‐ Eis. Dann gab es für einige ∙wenige Tage gekühltes Bier, und die kleinen dörflichen Festlichkeiten wurden in diese Zeit gelegt. Bei unserem Erscheinen war schon eine geraume Zeit seit dem letzten Schiffsbesuch verstrichen, und wir glaubten den Einwohnern aufs Wort, die bei jeder warmen Flasche Bier davon schwärmten, wie schön das Bier erst nach der nächsten Eissendung schmecken würde. Aber mit oder ohne Eis ‐ nach der ersten intimen Bekanntschaft mit dem Nationalgewürz Ahoi, das mir vulkanischen Ursprungs zu sein schien, wurde nach der Temperatur nicht mehr gefragt.

Während wir eigentlich nur zum Tanken zwischenlanden wollten, verzögerte eine zunächst unerklärliche Motorstörung unseren Aufenthalt um mehrere Tage, was unsere Praxis der Landesbräuche beträchtlich erweiterte. (…)
Dann lag auch Cozumel, die letzte Etappe vor Havanna, in unserem Rücken. Fern an Backbord grüßte noch ein Zipfel der Halbinsel Yucatan zum Abschied vom mittelamerikanischen Kontinent herüber, dann wandten wir uns seewärts wieder hinein in die Inselwelt der Antillen. Von nun an wechselten Sonne und Regenschauer in rascher Folge. Die Bestimmung unserer Geschwindigkeit bereitete uns bei der ungewissen Beleuchtung, die Richtung und Stärke des Seegangs nur undeutlich erkennen ließ, Schwierig‐ keilten, während Höhenwindmessungen, die uns einen Anhalt hätten geben können, damals in dieser Gegend noch unbekannte Begriffe waren. Mit unseren primitiven Signalmethoden, die wir zur Verständigung zwischen den beiden Flugzeugen ausgeknobelt hatten, nachdem unsere F. T. uns so schmählich im Stich ließ, versuchten wir, unsere Meinung über den mutmaßlichen Standort auszutauschen, was so vor sich ging, dass am Fenster verschiedenfarbige Tücher, Flaggen etc. gezeigt wurden. Dies blieb aber mehr oder weniger ein Unterhaltungsspiel, und wesentlicher war das In Sicht kommen verschiedener Schiffe, an deren Kurs wir einen Anhalt über unsere Position hatten. Dann tauchte ganz vorschriftsmäßig die Südspitze Cubas voraus im Dunst auf, dann ein Küstenstreifen und schließlich das ganze, in seiner Länge nicht übersehbare Inselmassiv. Nach einem ermüdenden Fluge in Regen und Gewitterböen entlang der gebirgigen Nordküste ragten endlich im Abendschein die Hochhäuser und Prachtbauten Havannas vor uns auf, sahen wir elegante Straßen, gepflegte Anlagen und den belebten Hafen unter uns. Mit einer tadellosen Landung in einer ruhigen Hafenecke war unser vorläufiges Ziel und zugleich der letzte Hafen vor dem Gebiet der USA erreicht. Wenn wir diesem Ziel mit einiger Erwartung entgegengesehen hatten, so kam der erste Empfang diesen Gefühlen nicht ganz entgegen, denn als wir uns Seite mit unseren Booten, wie es uns schien, mit lobenswerter Geschicklichkeit bis an die Kaimauer heranmanövriert hatten und die Besatzung an Land sprang, um selbst die Leinen festzumachen, überfiel uns der bereitstehende Zöllner mit einem derartigen Zornesausbruch über die Dreistigkeit, noch vor der Zollabfertigung das fremde Land zu betreten, dass uns die Aussichten eines Luftverkehrs in diesem Erdenwinkel nicht mehr so rosig erschienen wie vorher.

Mit dem Eintreffen in Havanna begann sich unsere bisher rast‐ lose Lebensweise wesentlich zu ändern. Zentralamerika lag hinter uns und vor uns die Pforte zu den Vereinigten Staaten, und unsere ferneren Schritte hingen nun ab von den Verhandlungen, die unsere Expeditionsleitung in USA zu führen gedachte, die aber doch längere Zeit in Anspruch nehmen würden.

Während dieser nun eintretenden Pause konnten wir Zurückbleibenden einmal wieder unser Leben mehr nach eigenem Plan einrichten, sogar ein Programm über mehrere Wochen machen und auch an den Flugzeugen alles das erledigen, was auf dem Fluge bisher hatte zurückgestellt werden müssen.
Der Schauplatz kam uns nicht ungelegen. Wir tauchten unter in einer strahlenden und lebendigen Stadt, in der sich die koloniale Atmosphäre des südlichen Amerika der spanischen Eroberer vermischt mit den härteren und kühleren Tönen des Landes der Sterne und Streifen, mit dem Reichtum beider Welten und dem unverhüllten Kampf um diese Reichtümer. Vorerst noch Zuschauer, fühlten wir uns unmerklich in diesen Kampf hineingezogen. Die Ziele, die wir uns gesetzt hatten und die in den bisher besuchten Staaten auf lebhafte Zustimmung gestoßen waren, mussten hier weit nüchterner betrachtet werden, trafen sie doch hier auf die ersten Anfänge einer nationalen und zugleich internationalen Luftverkehrspolitik, die zudem mit Erinnerungen an den noch nicht sehr weit zurückliegenden Weltkrieg belastet war.

Bevor aber die größeren Entscheidungen fielen, mussten wir uns noch nachdrücklich mit unseren kleinen Tagesnöten herumschlagen. Unsere stoffbespannten Flächen hatten schon auf den letzten Flügen ihre stramme Haltung aufgegeben und sahen im Fluge eher einem Luftballon ähnlich als einem Vertreter des Prinzips schwerer als die Luft. Wir waren nicht weiter verwundert, dass es hier weder Material noch Fachleute für einen zünftigen Ersatz gab, aber der immerwährende Krieg mit derartigen Bosheiten hatte uns wenigstens das eine gelehrt, statt des erwünschten Besten auf jeden Fall das erreichbare Nächstbeste zu finden und anzuwenden. Wenn wir auch keinen Seidenstoff fanden, so doch ein dauerhaftes Gewebe, und waren wir auch keine erfahrenen Sattler, so doch jedenfalls davon überzeugt, dass wir die Arbeit des Bespannens besser machen würden als jemand anderes in der Stadt. Mit Hilfe selbst gebogener Segelnadeln machten sich beide Flugzeugbesatzungen geschlossen an die Arbeit, und als nach zwei Wochen handwerklicher Betätigung keine heile Fingerkuppe mehr in dieser kleinen Gemeinschaft zu finden war, da waren auch unsere Tragflächen in unwahrscheinlichem Glanz und prall wie eine Trommel neu erstanden.

Während diese Arbeit in einem Schuppen des Militärflugplatzes vor sich ging, den man uns liebenswürdigerweise zur Verfügung gestellt hatte, standen die beiden Bootsrümpfe ohne ihre Flächen und Leitwerke an Land auf der Marinestation, und alles, was an Reparaturen anfiel, musste hier im Freien erledigt werden. Dies war umso unangenehmer, als wir gerade zur Hurrikan‐Zeit zurechtgekommen waren. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen waren wir, falls wirklich ein solcher Wirbelsturm uns treffen sollte, über den Ausgang keinesfalls optimistisch. Als wir dann aber wieder fertig montiert mit den Booten an der Boje lagen, waren wir allen Zufällen hilflos ausgeliefert und konnten nur hoffen, baldigst entweder für den Weiterflug nach den USA oder den Rückflug nach Kolumbien abgerufen zu werden.

Von nun an wurde mein Nachtschlaf wieder hellhörig wie in vergangenen Marinezeiten. Jede Wetteränderung, jedes Auffrischen des Windes drang in meine Träume, und oft sah ich mich als einsamen Wanderer durch die nachtdunklen Straßen Havannas dem Hafen zustreben, um mich zu vergewissern, dass beide Schützlinge noch sicher an ihrer Boje lagen.

Nach solchen Worten der Ungewissheit und des Wartens kam schließlich die Aufforderung, zur Unterstützung der Verhandlungen einen Besuchsflug nach Florida zu unternehmen, wie eine Erlösung. Nachdem wir bisher schon versucht hatten, durch Rundflüge etwas Geld zu verdienen, die damals noch keinesfalls populär waren, nutzte ich die Gelegenheit aus, um zum ersten Mal Passagiere auf der internationalen Strecke zu befördern.

Auf diesem ersten Fluge in die neue Welt begleitete mich zu meiner wesentlichen Erleichterung auch F. W. v. Meister, Vertreter von Zeppelin und Maybach in Amerika, der meine ersten Schritte ebnete und eine unwiderstehliche Art hatte, mich in Media Res zu bringen.
Der Start in Havanna hinterließ bei meinen Fluggästen einen nachhaltigen Eindruck, und zwar hauptsächlich wegen der Länge. Der Morgen war sehr heiß und feucht bei fast völliger Windstille ‐ die unangenehmste Situation für ein Wasserflugzeug, dessen Leistungs über Schuss beim Start nicht gerade bedeutend war. So hatten meine Passagiere Muße, alle Vorgänge beim Start eingehend zu verfolgen, einschließlich meines immer zorniger werdenden Gesichtsausdruckes, während wir draußen vor dem Hafen versuchten, in allen möglichen Richtungen vom Wasser freizukommen. Schließlich gelang auch dies, und dann gingen wir auf die wenig abwechslungsreiche Reise über die Floridastraße. Ohne Funkgerät war auch dies damals noch eine navigatorische Aufgabe, die man nicht leicht nehmen durfte, besonders, da unsere Möglichkeiten, die Kompasse zu kompensieren, nur recht bescheiden waren und bei dem hier stets erheblichen Wind ein Fluss es vor kommen konnte, daßmanan statt auf die Ostküste Floridas zünden Golf von Mexiko hineinsteuerte. Mangels jeglicher Funkverständigung, ohne Peilungen und gestützt nur auf einen unzuverlässigen Kompass musste das Resultat weitgehend auf Vorsicht und das für einen Flieger unerlässliche “Gefühl” aufgebaut werden. An Key West, dem Südzipfel der USA vorbei, ging es auf geradem Kurs nach Miami, wo das Eintreffen eines ausländischen Flugzeuges unter den Zuschauern im Hafen eine Sensation, aber bei den Behörden keinerlei Aufmerksamkeit erregte, da man darauf noch nicht eingerichtet war. Als vorsichtiger Mann hatte ich alle Vorschriften, soweit sie auf uns anwendbar zu sein schienen, genau beachtet, besonders, da man mir in Havanna gesagt hatte, dass die amerikanischen Behörden sehr genau seien. So wollte ich nun auch selbst wenn man mich nicht zu beachten geruhte, auf meiner offiziellen Abfertigung bestehen, für die ich ordnungsgemäße Schiffspapiere mitbrachte, da entsprechende Formen für die Luftfahrt noch nicht existierten. Auch in Havanna wurden in der Zeitung unsere Flüge stets unter “Schiffsbewegungen” gebracht. Nachdem wir also zwei Stunden Jagd auf die Hafenbehörden gemacht hatten und die Beamten endlich vollzählig in meiner Kabine versammelt waren, brachte ich mein Bündel Papiere zum Vorschein, da mir von dem Agenten in Havanna mit Wichtigkeit in die Hand gedrückt worden war. Und wenn nun die Behörden wirklich so genau gewesen wären, dann hätte ich gleich wieder abreisen können, denn auf dem wichtigsten Papier, dem Gesundheitsattest, fehlte aus gerechnet die Unterschrift.

Andern Tages wurde der Flug nach Palm Beach fortgesetzt, wo wir uns für einige Zeit einrichteten und wo auch meine Erfahrungen in diesem Lande um einiges bereichert wurden. In jener Zeit der “Prohibition”, die ja doch eine Maßnahme im Interesse der Volksgesundheit sein sollte und auch von der Mehrheit durchgesetzt wurde, trieb der Wunsch eben dieser Mehrheit, das zu umgehen, die merkwürdigsten Blüten. Sei es, dass man in New York unter Polizeischutz  stehende “speakeasies” (illegale Kneipen) aufsuchen konnte, deren Unternehmer ein hoher Beamter der Stadtverwaltung war, sei es die Einrichtung besonderer Schiffe, die vor der Küste außerhalb der Hoheitszone lagen und auf denen alles in USA Verbotene zu haben war, oder sei es ein Plan wie der, bei dem ich jetzt in Palm Beach mitarbeiten sollte.

Eines Tages nämlich erschien bei mir ein amerikanischer Pilot, der im Auftrage verschiedener Privatpersonen mein Flugboot zu einem Sonderflug nach den Bahama‐Inseln chartern wollte. Diese der Halbinsel Florida vorgelagerten Inseln schienen als britisches Besitztum besonders geeignet ein Zufluchtsort all derer zu werden, die ihren Alkohol nicht hinter verschlossenen Türen und mit dem Risiko körperlicher Schädigung trinken wollten und die bereit waren, dafür noch etwas mehr Geld und Zeit zu opfern. Ein bekannter Filmmagnat war im Begriff, eine dieser Inseln käuflich zu erwerben und wollte sich das Objekt aus der Nähe und aus der Luft besehen. Mir kam dieser Auftrag sehr gelegen und so wurden wir über die Bedingungen schnell einig.

(…) Nach vorübergehender Rückkehr nach Havanna Schloss sich eine weitere Reise nach Florida zum näheren Studium der Hafenverhältnisse an, und schließlich musste ich meinen Sitz für einige Monate ganz nach New York verlegen, um für Verhandlungen, die sich nach den verschiedensten Richtungen erstreckten, zur Verfügung zu sein. Neben den grundlegenden Fragen eines interamerikanischen Luftverkehrs hieß es auch hier wieder, nach Möglichkeiten für eine einstweilige Beschäftigung unserer beiden Flugboote zu suchen. Darunter war auch ein Plan, mit einer Film‐Expedition einen Flug rund um Südamerika zu machen, doch zerschlug sich dieses Projekt wie unsere anderen Verhandlungen.

Es war die Zeit, als Amerika anfing, sich für die Luftfahrt zu interessieren, aber zugleich auch die ersten Regungen bemerkbar wurden, europäische Bemühungen dieser Art vom amerikanischen Kontinent fernzuhalten. So blieb als praktisches Ergebnis meiner New Yorker Zeit nur ein guter Einblick in die neue Entwicklung auf diesem Gebiet und die Überzeugung, dass wir auf diesem Felde noch manche Klippen zu umschiffen haben würden. Ohne großes Bedauern nahm ich daher die Nachricht aus Berlin auf, dass unsere Boote bald für eine andere Aufgabe eingesetzt werden und vorher per Schiff nach Deutschland gehen sollten, um einige Neuerungen eingebaut zu bekommen.

So schnell ich konnte, Schloss ich meine Tätigkeit in God’s own Country ab, überschaute noch einmal aus meinem Büro im 22. Stock des Cunard Building die Battery, Hafen und Freiheitsstatue, und reiste wieder nach Havanna, wo meine beiden Bordkameraden schon dabei waren, die Maschinen zu demontieren und für die Verladung mit dem Dampfer vorzubereiten.

Der “Rio Bravo” und sein Kapitän Friedrich Christiansen waren keine Unbekannten für mich. Oft hatte ich, wenn das Schiff auf seinen regelmäßigen Westindienfahrten Havanna anlief, bei “Krischna” in der Kapitänkajüte gesessen und von den Tagen unserer gemeinsamen Kriegsfliegerei gesprochen. Ich wusste auch, dass er im Begriff war, die Seefahrt ein zweites Mal gegen die Fliegerei zu vertauschen in Verbindung mit einer Entwicklung, von der wir hier draußen nur andeutungsweise hörten, und die dann unter dem Namen DO X einige Jahre später der Welt den Ausblick auf Flugschiffe einer ganz anderen Größenordnung eröffnete. Nun sollte er unsere beiden Maschinen mit in die Heimat nehmen.

Trotzdem Flugzeugverladung in jenen Zeiten nicht zu den AII Tätlichkeiten gehörten, ging die Übernahme in unglaublich kurzer Zeit vor sich, und dann sah ich etwas wehmütig mit dem Gefühl eines Gestrandeten unsere treuen Vögel auf dem Deck des “Rio Bravo” den Hafen verlassen.